Yvonne Anders
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PRALINE #mag

6 Garage. im Gespräch mit Stefanie Schroeder vom Projekt .mpeg

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Abb.: .mpeg Gebäude in neuem „glittergrey“-Anstrich

Im Oktober 2021 hatte ich euch die Schlüssel zum ehemaligen Kunstraum Praline übergeben. Seitdem heißt das Projekt .mpeg – moving pictures experimental garage – und wird von euch als Teil des Kollektivs Filmische Initiative Leipzig – FILZ bespielt. Ihr habt die Holzfassade in „glittergrey“ umgestrichen und einen Schacht im Innenraum vor das Schaufenster eingebaut.
Das Schaufenster des kleinen Gebäudes wurde zur Projektionsfläche für Filme und Videoarbeiten umfunktioniert, die man sich von der Straße aus anschauen kann.
Welche Formate werden gezeigt und gibt es einen inhaltlichen Fokus?


Wir wollten einen Monitor, ein Videoschaufenster im öffentlichen Raum schaffen, mit nach außen gerichteten Lautsprechern, so dass Passant:innen die Arbeiten sehen können. Wir zeigen Filme, Kurzfilme und Videoarbeiten. Hauptsächlich finden diese Formate draußen statt und man geht im Gegensatz zu den Projekten des ehemaligen Kunstraums Praline nicht in das Gebäude hinein. In Verbindung mit den Projektionen wird das Gebäude zu einer Videoskulptur. Die Arbeiten verbinden sich mit der Architektur und der Umgebung.
Es fanden aber auch teilweise im Innenraum Performances, Konzerte und Artist Talks statt, „behind the screen“ sozusagen. Die Live Performance „Aus dem Käfig“ von Anna Korsun und Sergey Khismatov, eine Improvisation mit Readymade-Soundobjekten wurde von den Klangkünstler:innen im Innenraum performt und über den Screen live nach außen übertragen. Die Künstlerin Valentina Petrova lud zum Borschtsch und Künstlergespräch hinter die Kulissen ein. Das hatte dann im Gegensatz zu öffentlichen Q&As bei Filmveranstaltungen etwas sehr Persönliches, Vertrautes. Ein schönes Format, was wir weiterführen möchten.
2022 hatten wir aufgrund des Kriegsausbruchs in der Ukraine „Künstler:innen im Exil“ zum inhaltlichen Schwerpunkt erklärt und Arbeiten von Filmemacher:innen aus der Ukraine gezeigt, aber auch aus Syrien: Khaled Abdulwahed mit der Arbeit „Tuj طج“, sowie die Arbeit „China Not China“ von Richard Tuohy & Dianna Barrie (2018) über Hongkong. Dieses Jahr liegt der Fokus auf dem Thema „Energie“, das ist allerdings sehr weit gesteckt. Damit verbindet sich übrigens auch der Wunsch, Solarpanels auf das Dach des Gebäudes zu installieren, um unsere Filmprogramme mit selbst erzeugtem Solarstrom realisieren zu können.


Abb.: artist talk mit Valentina Petrova

Gibt es auch Open Calls, können Vorschläge eingereicht werden?


Diese Möglichkeiten haben wir in unserer kleinen Gruppe durchaus diskutiert, uns dann aber vorerst dagegen entschieden. Uns fehlen die Kapazitäten, die zu erwartenden Einreichungen adäquat zu sichten und fair auszuwählen. Wir vermuten schon, dass wir viele Einreichungen bekommen würden.
Bisher kommen die Vorschläge aus unserer Gruppe, und wir entscheiden dann gemeinsam in den regelmäßigen Treffen über das Programm. Das ist an sich schon ein aufwendiger kollektiver Prozess, wir arbeiten ja alle an eigenen Filmen und künstlerischen Arbeiten.

Entwickeln eingeladene Künstler:innen auch Arbeiten für den Raum, den Kontext, die Umgebung?

Ortsspezifische Produktionen wären natürlich toll, andererseits möchten wir nicht ohne entsprechende Finanzierungs- und Honorierungsmöglichkeiten Künstler:innen dazu einladen. Uns ist es als Kollektiv wichtig, dass die teilnehmenden Künstler:innen dann auch angemessene Honorare für ihre Arbeit erhalten.
Es gibt aber einige Beispiele, bei denen die Künstler:innen ihre Arbeiten an den Rahmen angepasst haben. Beispielsweise bei der Arbeit „When old women sing, their voices echo through the universe“ von Dmytro Starusiev (2015) füllt die Aufnahme einer laufenden Magnetbandkassette den Screen komplett aus. Zu hören sind Gespräche und Lieder von ukrainischen Frauen in der Steppe der Ost-Ukraine. Das Gebäude wird zum Kassettenrekorder.
Bei der Auswahl der Arbeiten interessieren wir uns sehr für das Spiel mit dem Format Film und Video im öffentlichen Raum und im Zusammenspiel mit der Umgebung. Bestimmte Arbeiten würden wir nicht zeigen, da sie ja immer nur in Ausschnitten rezipiert werden und es da in manchen Fällen ungünstig für die jeweilige Arbeit wäre. Ideal sind Arbeiten, die man im Vorbeigehen erfassen kann.


Abb.: „When old women sing, their voices echo through the universe“ von Dmytro Starusiev (2015)

Wie sind denn die Reaktionen der Öffentlichkeit und wer schaut sich die Arbeiten an? Gibt es Feedback, Gespräche, Diskussionen? Wie lassen sich die Arbeiten an der lauten Straße mit der regelmäßig vorbeiquietschenden Straßenbahn rezipieren?


Es gibt auf jeden Fall interessiertes Laufpublikum. Wir werden oft gefragt: Was ist das? Was macht ihr hier? Viele interessierte Passant:innen wollen vor allem ins Gebäude rein, was aber meist nicht vorgesehen ist.
In der Nachbarschaft gibt es auch viele Menschen mit Interesse für Kunst und Kultur, und diese erzählen uns, dass sie sich beispielsweise immer auf dem Weg zu Kaufland unser aktuelles Programm ansehen. Wir sind aber nicht ständig vor Ort, und viele Sachen bekommen wir einfach nicht mit. Auf Instagram gibt es viele Kommentare.
Der besondere Rahmen mit dem Screen im Gebäude am Straßenrand setzt die Arbeiten in einen sehr spannenden neuen Kontext. Themen werden plötzlich in eine neue Umgebung versetzt, so beispielsweise die Sequenz eines Ball spielenden Kindes in Syrien, im Hintergrund sind Bombeneinschläge zu hören. Durch das Screening der Arbeit „Tuj“ طج des syrischen Filmemachers Khaled Abdulwahed, der jetzt in Leipzig lebt, wird ein Ereignis, welches weit weg scheint, mitten in diesen Stadtteil und in die Wahrnehmung der vorbeigehenden Menschen geholt.
Beschwerden wegen Ruhestörung gab es leider auch schon, die Fensterscheibe wurde eingeschlagen und ein weiterer Einbruchsversuch fand statt, höchst wahrscheinlich wegen der Technik im Gebäude. Ja, und natürlich die Graffiti quer über die Gebäudefront, aber das kennst du ja schon vom Kunstraum Praline.


Abb.: „BUXUS 1“, Dagmar Weiss (2019), Festival LindeNOW 2021

Ich erinnere mich, dass in Zeiten des Kunstraums Praline die Graffiti-Schriftzüge farblich bemerkenswert gut mit den aktuellen künstlerischen Arbeiten abgestimmt waren.
Was denkt ihr, welche Bedeutung, Wirkung oder auch Auswirkung hat euer Projekt auf den Stadtteil? Und wie interpretiert ihr die Graffiti? Werdet ihr als intellektuell abgehobene Kunstszene eingeordnet, als Faktor für die voranschreitende Gentrifizierung des Stadtteils wahrgenommen und deswegen gecrosst?


Das glaube ich nicht. Ich denke eher, das Gebäude sieht aus wie eine Garage und hat so etwas Harmloses. Da kommt nicht gleich jemand raus, von dem man erwischt wird. Die Gentrifizierungsdebatte wird oft vorgeschoben. Gentrifizierung passiert durch nichtvorhandene Stadtplanung, nicht durch Künstler:innen, die vorhandenen Leerstand nutzen.

Danke, ich bin gespannt. Ich wünsche euch viel Erfolg mit dem folgenden Programmen und den Solarpanels!


Alle Fotos: © .mpeg

Eine Gesprächsreihe von Ex_Praline und Verlag Trottoir Noir, 2023
Yvonne Anders, Gespräch und Redaktion; Marcel Raabe, Redaktion