Yvonne Anders
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PRALINE #mag


1. Peripherisch
Im Gespräch mit Marike Schreiber

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Abb.: Karte 2: Schlaffass (Strasen), 2020

Marike, Du hast in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert. Von 2008 bis 2018 hast du u.a. mit mir den Kunstraum Praline betrieben, den ich zur Zeit als Projekt weiterleben lasse. Vor etwa zwei Jahren bist Du in ein kleines Dorf in die Mecklenburgische Seenplatte gezogen. Deine Serie „peripherisch“ beschäftigt sich mit dieser ländlichen Umgebung. Ein See, ein Acker, landwirtschaftliche Fahrzeuge, Wald, Zugvögel. Objekte und Architekturen, die bei mir nostalgische Gefühle wecken, stehen neugebauten Immobilien mit fraglichen Gestaltungskonzepten gegenüber. Inwiefern prägt oder verändert der Ortswechsel Deine künstlerische Arbeit, Deine Themen und Interessen? Was macht der ländliche Raum mit Dir als Künstlerin?

Die Karten sind erstmal nur Beobachtungen im Stil einer wissenschaftlichen Strichgrafik. Die Idee war nicht, klassische Postkarten zu machen und eine touristische Brille aufzusetzen, sondern zu fragen: Wie zeigt sich Geschichte in Architektur oder Landschaft? Vom Umzug aufs Land habe ich mir versprochen, dass ich gut arbeiten kann. Grundlegend verändert hat sich also bisher nichts – außer, dass ich Ruhe zum Arbeiten habe. Das hat aber nichts mit dem ländlichen Raum zu tun, sondern vor allem mit Corona.

Abgesehen von den Karten haben sich meine anderen Themen nicht verändert. Das ist ja mit jedem Umzug so – man macht sich zunächst vertraut mit der neuen Umgebung. Und da fallen mir Dinge auf, die mir in der Stadt auch begegnen, nur dass sie mir hier noch etwas klarer vor Augen geführt werden, z.B. die Lebensmittelproduktion: Der Glyphosatacker beginnt da, wo unser Garten aufhört, trotzdem sieht er eigentlich ganz schön aus. Der Wald, für die Tourist:innen ein Ort zum Waldbaden, dient auch der Produktion eines Rohstoffes. Es gibt hier auch keine Idylle.

Ich betrachte die Karten als Reihe, vielleicht auch als Tagebuch? Es gibt auch eine Chronologie. Die erste war das Badestrand-Schild. Das erkennen Leute wieder. Mir wurden daraufhin Dorfchroniken vorbeigebracht, Regionalzeitungen, weil sie dachten, ich beschäftige mich mit der Geschichte des Ortes selbst. Das interessiert mich auch, aber nicht so detailliert.


Karte 1: Schild (Strasen), 2020

Wie wählst Du Deine Motive aus? Wann wird es relevant für so eine Karte?

Es sind eher spezielle Sachen, die es nur hier gibt. Das Badeschild ist ja ein Unikat, es macht den Ort aus, es ist ortstypische Architektur, die z.B. auf DDR-Geschichte verweist. Wichtig ist auch Zeitgenossenschaft, also dass es etwas Typisches für die Gegenwart zeigt. Auf die Fertiglöwen-Skulpturen vorm Hotel etwa will ich nicht arrogant ironisch schauen, sondern eher verstehen, warum jemand das so gestaltet. Die Gartendekoration meiner Nachbarin beispielsweise gestaltet sie nicht nur für sich, sondern für alle, die vorbeikommen und sich das anschauen. Oder die geschweißten DDR-Zäune – das sind auch künstlerische Äußerungen. Ich frage mich dabei: Was denken sich die Gestalter:innen, Betreiber:innen, Bewohner:innen und Käufer:innen von dem Löwenortal, dem Badeschild oder dem Schlaffass?

Die Zeichnungen sind auf der Website 
→ www.peripherisch.de zu sehen und als Risographien erhältlich. Mir gefällt das Konzept mit dem Stand vor Deinem Haus, an dem zufällig vorbeilaufende und -fahrende Personen diese Drucke erwerben können. Es gibt eine Kasse des Vertrauens und eine am Tisch installierte Klingel. Falls Du zu Hause bist, ergeben sich also ab und zu auch Gespräche. Du nimmst so sicherlich einigen Einfluss auf Bilder und Erinnerungen, die sich durch die von Dir bestimmten Postkartenmotive in die Köpfe von Bewohner:innen und Besucher:innen einschreiben. Wie wichtig ist Dir der Austausch mit anderen außerhalb der (städtischen) Kunstblase über die Gestaltung der Euch umgebenden Landschaft?



Stand mit Karten und Vertrauenskasse, Strasen, 2021

Ich hab an den Stand dazugeschrieben: Bei Fragen und Wechselgeldbedarf bitte klingeln. Das war mir sehr wichtig. Inspiriert von dieser ländlichen Kultur, selbstproduzierte Sachen am Straßenrand zu verkaufen – Eier, Honig, Marmelade oder auch gebrauchte Bücher – kam ich auf die Idee, die Grafiken da hinzustellen. Man verdient ja nichts daran, es ist eher ein Taschengeld. Der Berlin-Kopenhagen-Radweg führt hier entlang, es gibt eine Wasserstraße.
Bei den Gesprächen mit interessierten Menschen ist mir aufgefallen, dass sie mehrheitlich aus der Stadt kommen und etwa so alt wie ich oder etwas jünger sind. Vielleicht weil die Gestaltung des Standes und die Art und Weise, wie die Karten gezeichnet sind, dann eben doch Personen ansprechen, die mir ähnlich sind. Trotzdem ist es spannend, dann über die Motive zu sprechen und darüber, warum sie welches ausgewählt haben. Viele verbinden mit den Motiven auch eigene Geschichten. Andere sind auf der Suche nach den klassischen Postkarten: See, Schild, etwas, das bestimmte Sehnsüchte bedient. Manche stellen sich Außenseitermotive zusammen, z.B. das Bild von der Brücke mit dem Fuck-AfD-Graffiti. Es fällt Leuten aus meiner Blase eher auf. Den Einheimischen im Dorf eventuell nicht so sehr. Die Postfrau z.B. hat zuerst gar nicht gemerkt, dass die Motive von hier sind. Aber dann hat sie welche gekauft, weil sie auch von hier ist.

Du lenkst in Deinen Zeichnungen den Fokus auf Details, die nicht unbedingt auf klassischen Postkarten landen, aber viel über die Geschichte und Gegenwart der Region erzählen, z.B. eben das FCK AFD an einer Brücke, eine ausrangierte Leninbüste oder entstehende Eigenheimsiedlungen. Ändert sich Dein Blickwinkel auf gesellschaftliche Debatten, die Dir bereits in der Stadt begegneten, auf dem Land?

Ich spiele da natürlich mit den Erwartungen der Betrachter:innen, denn bei einer klassischen Ansichtskarte erwartet man eher eine Landschaft oder pittoreske Dorf- und Stadtansichten. Und darüber hinaus auch mit den Erwartungen an eine ländliche, wenngleich touristisch geprägte Region: LKWs im Wald, Fässer im Wasser, Überreste sozialistischer Denkmäler, eine industriell anmutende Brücke mit Fuck-AFD-Graffiti, die wiederum dem Klischee der rechts-konservativ eingestellten Landbevölkerung widerspricht. Interessanterweise ist das Graffiti schon lange zu sehen und wird nicht überpinselt. Hier habe ich viel mehr mit Leuten zu tun, die man sonst vielleicht nicht kennen würde. In der Stadt gibt es ähnliche gesellschaftliche Querschnitte. Da kann man in seiner Blase mit Menschen auf einer Meinungslinie bleiben. Auf dem Land löst sich das mehr auf.


Karte 9: Brücke (Strasen), 2021

Mich erinnern Details wie das Schlaffass, die Badestrandbeschilderung oder auch einzelne Geländergestaltungen an Urlaube und Ausflüge in meiner Kindheit in der DDR. Die Herausstellung dieser architektonischen Perlen weckt in mir den Wunsch, all dies unter Denkmalschutz zu stellen. Du bist in der Gegend aufgewachsen. Welche Rolle spielen diese Elemente für dich?

Ja, ich würde diese zeitgeschichtlichen Artefakte auch gerne unter Denkmalschutz stellen! Sicherlich sind die Zeichnungen auch ein Versuch, diese architektonischen Eigenheiten der Region zu dokumentieren, bevor sie irgendwann verschwinden, denn für viele sind sie ja nicht unbedingt erhaltenswert. Es kann sein, dass es das Schlaffass irgendwann nicht mehr gibt und die Zäune durch neumodische Baumarktzäune ersetzt werden.

Du hast das gemacht, wovon gerade alle reden. Sollten wir Dir folgen und die Dörfer um Dich herum besiedeln? Ist Stadtflucht eine Lösung? Wie viele von „Dir“ gibt es da eigentlich? Wie ist der Umgang miteinander, wie funktionieren die Kunstnetzwerke?

Mein Umzug aufs Dorf war keine Stadtflucht in dem Sinne, sondern hatte verschiedene persönliche Gründe. Als ich 2006 nach Leipzig kam, war das eine sogenannte „schrumpfende Stadt“. Es gab viel Raum, um Dinge zu machen. Mein Wohnort im Leipziger Stadtteil Lindenau war auch eher dörflich oder kleinstädtisch. Heute gibt es 100.000 Einwohner:innen mehr und die Infrastruktur ist ausgelastet usw. Vielleicht solltet ihr es versuchen, ich würde mich freuen, wenn sich meine Blase hier wieder vergrößert, aber viel Platz ist in den Dörfern um uns herum leider auch nicht mehr. Die Gentrifizierung fällt noch krasser auf als in der Stadt. Berlin zieht hier raus, es entstehen Ferienwohnungs- und Eigenheimsiedlungen. Gleichzeitig herrscht krasser Wohnraummangel. Viele Informationen, Kontakte, Ausstellungsbeteiligungen etc. haben sich über den Künstlerbund, also den Berufsverband, ergeben. Die Künstlerinnendichte ist hier noch nicht ganz so hoch wie in Berlin. Aber ich glaube, dort gibt es deutliche Abwanderungstendenzen, wie ich aus sicherer Quelle erfahren habe und sich in steigenden Mitgliederzahlen im Berufsverband zeigt.


Karte 5: Zaun (Strasen), 2020

Eine Gesprächsreihe von Ex_Praline und Verlag Trottoir Noir, 2021
Yvonne Anders, Gespräch und Redaktion; Marcel Raabe, Redaktion