Yvonne Anders
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PRALINE #mag

#9 Laube. Im Gespräch mit Mandy Gehrt

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Abb.: „rückwärts träumen“, Detail Fassade, Kunstraum Praline,2020

Mandy, du warst 2020 eingeladen, im bzw. am Kunstraum Praline eine künstlerische Arbeit zu realisieren. Die Installation „Rückwärts träumen“ wurde eröffnet von einem Aufkleber mit fossiler Holzstruktur an der Fassade des Gebäudes. Durch das große Schaufenster sah man alte Stühle, deren Sitzpolster und Lehnen du mit fotografischen Abbildungen von Kleingartenanlagen bezogen hast. Aus einem Waschbecken ragte eine Erdbeerpflanze, der Boden war mit weiß-gelblichem Pulver bedeckt. Die Stühle standen wirr herum oder hingen schräg in der Luft. Welchen Moment hast du da eingefroren?


Ich hatte mich zum Zeitpunkt der Realisierung dieser Arbeit mit der Braunkohleregion in und um Leipzig beschäftigt und unter anderem in Schrebergartenanlagen der Kleinstadt Kitzscher bei Leipzig recherchiert. Dort stieß ich auf zahlreiche Relikte der Braunkohleindustrie. Beispielsweise wurde oft fossiles Holz verbaut oder als dekoratives Element benutzt. Viele ehemalige Arbeiter*innen im Tagebau nahmen sich Fundstücke wie Haizähne und andere Fossilien von Arbeit mit nach Hause. Das findet man heute noch an und in den Häusern dieser Orte vor. Die Identität der Stadt und der Region um Leipzig, die sich auf einem Braunkohleflöz befindet, ist stark von dieser Industrie geprägt. Viele Orte um Leipzig entwickelten sich aufgrund der Braunkohleindustrie zu Städten.

Die Bedeutung Leipzigs als ehemaliger bedeutender Industriestandort fußt aufgrund der Abhängigkeit von den Ressourcen des Umlands auf der Tagebauindustrie in der Region. Dieses identitätsstiftende Merkmal findet sich bis heute in den fossilen Elementen und Erzählungen, zum Beispiel von schwarzem (Kohlenstaub) und gelbem (Schwefel) Schnee wieder. Heute hat sich die gesamte Region aufgrund von Deindustrialisierung stark verändert, viele Kleinstädte leiden unter Wegzug. In Kitzscher, dem angeblich kinderreichsten Ort der DDR, hat sich die Einwohnerzahl bis heute halbiert. Leipzig jedoch wächst, und hier zeigt sich eine weiter bestehende Abhängigkeit vom Umland als mittlerweile wieder attraktiven Speckgürtel.

Mich interessiert das Verhältnis zwischen Stadt und Land und die Identität von Orten. Das Gebäude des Kunstraum Praline hat mich an die Gartenlauben in Kitzscher erinnert und ich beschloss, Ergebnisse meiner Recherchen in die Stadt zu holen.


„rückwärts träumen“, Blick durchs Fenster, Kunstraum Praline, 2020

Diese Arbeit hast du weiterentwickelt und sowohl in Leipzig als auch in Kitzscher zum Einsatz gebracht.


Ich stieß auf einen Fundus von Stahlrohrstühlen aus einer DDR-Kantine, die ihre Funktion verloren hatten und nun auf einem Dachboden dahingammelten. Diese Stühle habe ich entkernt, gestrichen und mit neuem Holz versehen, auf das ich bedrucktes PVC aufzog.

Die Sitzflächen und Lehnen zeigen Abbildungen von fossilem Holz aus dem ehemaligen Tagebau an verschiedensten Orten in Kitzscher, z.B. als Dekorationsobjekte in Vor- und Schrebergärten, als kleine Mauer an der Steigerstraße und als „Denkmal“ auf dem Marktplatz.

Während des von mir und unserem Verein Kulturbahnhof e.V. initiierten Projekts „Kunst am Markt“ in Kitzscher (2021), an dem ich und weitere Künstler*innen teilnahmen, stellte ich diese Arbeit mit dem Titel „miners rest“, bestehend aus drei Tischen und zwölf Stühlen, für die Veranstaltungen zur Verfügung. Die Besucher*innen saßen also bei den Lesungen, Verkostungen auf und an diesen Möbeln. Das hatte einen Aha-Effekt, viele empfanden dieses Interesse für die Geschichte der Ortschaften als wertschätzend. Einige rieten, wo sich die abgebildeten Orte befinden.

Die Möbel und somit die Thematik transportierte ich 2022 wiederum nach Leipzig und integrierte sie im „meeting point“ im Museum der bildenden Künste Leipzig, einer Plattform zum Austausch mit Ukrainer*innen, wo sie im neuen Gewand wieder eine Funktion erhielten, nämlich als Angebot zum Dialog und Austausch. Und ganz nebenbei transportieren sie die Geschichte der Region.


„miners rest“, Stühle und Tische bei „Kunst am Markt“, Kitzscher 2021

Das war nicht deine erste künstlerische Intervention in Kitzscher. Seit vielen Jahren bist du als Künstlerin, Kuratorin und Leiterin des Vereins Kulturbahnhof e.V. im Leipziger Umland sehr aktiv. Wie begründet sich dein Interesse am ländlichen Raum?


Ich habe mit dem Verein Kulturbahnhof e.V. in den letzten Jahren viele künstlerische Projekte u.a. in Kitzscher, Rötha/Espenhain, Borsdorf und Regis-Breitingen realisiert. Zahlreiche Künstler*innen wurden eingeladen, sich mit den jeweiligen Orten auseinanderzusetzen. Der Schwerpunkt liegt auf der künstlerischen Forschung zur jüngeren Geschichte und gegenwärtigen Situation der Region.

Mein großes Anliegen ist es dabei, die Vermittlung direkt mitzudenken. Für mich sind diese künstlerischen Formate auch Demokratiearbeit. Ich sehe einen starken Zusammenhang von kultureller und demokratischer Bildung. In Orten, wo es neben fehlenden beruflichen Perspektiven auch kaum noch Kultur- und Begegnungsorte gibt, wächst die Gefahr antidemokratischer Einstellungen. Es gibt einen schmerzhaften Verlust von Kinos, Kulturhäusern, Tanzsälen und Gaststätten. Das hat Folgen.

Wie würdest du deine Position als Kunst- und Kulturschaffende aus der Stadt beschreiben?

Auf dem Land finden wir kein spezifisches Kunstpublikum vor, wir erreichen und konfrontieren in kleinen Ortschaften ganz unterschiedliche Menschen mit diversen Themensetzungen. Die Kunst erhält so eine Sichtbarkeit außerhalb der herkömmlichen Szene. In kleinen Orten wird das auf jeden Fall gesehen, und alle nehmen wahr, dass etwas passiert. Man sollte aber nicht einfach nur dort hinkommen und irgendwas machen. Natürlich gibt es oft erstmal diesen UFO-Effekt. Die anfänglichen Ressentiments hören jedoch auf, sobald die Bewohner*innen realisieren, dass wir uns wirklich für deren Geschichten interessieren. Arbeiten, die sich mit dem Ort und den darin lebenden Menschen beschäftigen, funktionieren am besten.

Wir wollen die Menschen nicht missionieren, aber erreichen. Ich möchte daher, dass die eingeladenen Künstler*innen beteiligungsorientiert arbeiten und ihre Arbeiten öffentlich sichtbar werden. Sie sollten auch möglichst während der Recherche und Produktion in den Orten wohnen. Verständigungsprobleme versuchen wir, mit öffentlichen Veranstaltungen zu lösen. Ich finde es auch für die Künstler*innen spannend, ihre Komfortzonen zu verlassen.

Ingeborg Lockemann beschäftigte sich z.B. im Rahmen des oben beschriebenen Projektes „Kunst am Markt“ in Kitzscher mit Erwerbsbiografien von Frauen aus Kitzscher und zeigte historische Fotografien aus dem Archiv des Museums Borna in den leeren Fenstern der Ladenstraße. Die daraus entstandene Broschüre war sehr beliebt und schnell vergriffen. Die Aktionen „Essen ohne Kohle“ und „Kostprobe Kitzscher“ der Künstlerin Grit Ruhland auf dem Markt erfreuten sich großer Beliebtheit. Obst aus Kitzscher wurde zu Saft gepresst, Kräutertees und Knabbereien aus heimischen Pflanzen gemixt. Roswitha von den Driesch und Jens-Uwe Dyffort brachten kleine Boxen an den Laternen des Marktplatzes an, die mit Bildern und Sound „verschwundene Orte“ wie das Kino, die Freiluftbühne oder den Tierpark in Erinnerung riefen. Diese Ansätze und Arbeitsweisen sind charakteristisch für unsere künstlerischen Projektreihen.


„Die Männer waren damals noch nicht so weit.“, Ingeborg Lockemann, „Kunst am Markt“, Kitzscher 2021

Der ländliche Raum in Sachsen ist bekanntlich kein leichtes Pflaster. Gerade der Ansatz der Demokratiearbeit stellt dich und euch als Verein sicherlich vor immense und evtl. auch steigende Herausforderungen. Mit welchen Schwierigkeiten bist du als Künstlerin und Projektleiterin konfrontiert?


Man muss alle ortsansässigen Akteure mitdenken. Die Verantwortung ist irgendwie höher. Der Umgang mit einigen Anwohner*innen im Raum Sachsen ist tatsächlich nicht immer leicht. Wir haben Beobachtungssituationen erlebt, Beschmierungen von künstlerischen Arbeiten und mitunter unerfreuliche Diskussionen. Ich musste in Gesprächen auch schon mal das Grundgesetz bemühen, um Grenzen zu ziehen. Man stößt hier nicht selten auf demokratiefeindliche Einstellungen. Wir arbeiten mit denen zusammen, die uns akzeptieren, und das sind Menschen mit demokratischen Einstellungen.

Die Stimmung hat aber leider auch einen Einfluss auf die Themenwahl. Auch der Verwaltungsapparat im Landkreis möchte manchmal ungern öffentlich über einige Missstände reden. Bestimmte Themen werden als image- und rufschädigend empfunden und gern von Institutionen der Verwaltung vermieden, ich nenne hier nur das Beispiel der Situation Geflüchteter im Leipziger Umland. Die kritische Auseinandersetzung mit der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft in einer Kleinstadt bei Leipzig etwa führte zu komplizierten Gesprächen mit der Verwaltung des Landkreises.

Wir befinden uns als kleiner Kulturverein in einer Förderabhängigkeit, und Zerwürfnisse mit der Verwaltung fühlen sich dann schon existenzbedrohend an. Wir wollen aber langfristig und nachhaltig arbeiten. Das geht nur in Zusammenarbeit mit allen Akteuren der Region. Es gibt Orte, wo das besser funktioniert, aber auch Orte, wo das nicht gut funktioniert.


„Essen ohne Kohle“, Grit Ruhland, „Kunst am Markt“, Kitzscher 2021

Alle Fotos: © Mandy Gehrt

Eine Gesprächsreihe von Ex_Praline und Verlag Trottoir Noir, 2023
Yvonne Anders, Gespräch und Redaktion; Marcel Raabe, Redaktion