Yvonne Anders
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PRALINE #mag


2 PASSAT. Im Gespräch mit Ina Weise

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PASSAT am Elbufer, 2021

Du bist mit einem VW Passat in der sächsischen Region aufgetaucht. Auf dem Dach wies ein riesiger Schriftzug dezent darauf hin, dass im Innern des Autos eine AUSSTELLUNG besucht werden kann. Wo warst Du bisher? Was gabs zu sehn?

Wir waren in Dresden in einem Kleingartenverein und am Elbufer, in Meißen, in Espenhain und in Lorenzkirch unterwegs. Wir sind aufgrund des hohen Aufbaus auch vorsichtig und langsam gefahren, es war eine recht wackelige Angelegenheit. Mir ist dadurch auch erst aufgefallen, wie viele Sachen so über Straßen gespannt sind. Meist stand der Passat mit dem installierten Schriftzug an markanten Orten. Die ursprüngliche Idee, mit Christian Göthner vom lfm² Leipzig diese fahrende Installation zu entwickeln, bauten wir schließlich zu einem Ausstellungskonzept im Auto aus. Ich lud sieben Künstler:innen ein, Arbeiten zum Thema Mobilität, Stillstand, Beschleunigung für den Passat-Innenraum zu schaffen oder bereitzustellen.


LandEscape #1, Yoav Admoni, 2021

Du bringst als „Art Delivery Service“ künstlerische Arbeiten an Orte, wo sie sonst wohl nie auftauchen würden. Warum wolltest Du in der „Provinz“ präsent sein, auf dem Land, in Dörfern? Setzt Du auf zufälliges Publikum, das nicht aus typischen Besucher:innen zeitgenössischer Ausstellungsorte besteht?

Mit dem öffentlichen Raum beschäftige ich mich aufgrund des vielfältigen Feedbacks schon lange. Eindrücke werden oft direkter geäußert, das Publikum fordert häufig ganz andere Erläuterungen ein. Ich muss mir viel intensiver die Frage stellen: Wie erklär ich das dann eigentlich? Während eines zweimonatigen Aufenthalts in Espenhain 2018 entstand zudem die Idee, zusätzlich zum regelmäßig auftauchenden Sparkassen-, Bäcker- und Hähnchengrillauto auch mit einem Kunstauto auf dem Parkplatz vor meinem Haus aufzukreuzen. Das Thema Mobilität ist auch sehr zentral in ländlichen, teilweise schlecht angebundenen Regionen. Das im Stadtraum mittlerweile als unzeitgemäß diskutierte Fortbewegungsmittel Auto ist dort oft noch unverzichtbar.

Was ist vor Ort so passiert? Gab es Schaulustige, Publikum?

Wir wurden je nach Standort gar nicht, als Ufo, Störfaktor oder „mal was anderes“ wahrgenommen. An der Elbwiese sind viele vorbeigeradelt und haben den Schriftzug eventuell für sowas wie Messe-Werbung gehalten und ignoriert. Der Standort in Meißen vor Stadtmuseum und Kunstverein eignete sich schon besser, da gab es viel Austausch mit Passant:innen. Von Institutionen wie dem Stadtmuseum Meißen oder dem Kunsthaus Dresden gab es übrigens sehr gutes Feedback, sie luden uns nach Anfrage sofort ein, vorbeizukommen. Generell trauten sich viele auch erstmal nicht, sich dem Auto zu nähern. In Espenhain schauten sich viele Bewohner:innen das Geschehen aus ihren Fenstern heraus an. Wir haben für uns den Publikumsbegriff erweitert und zählen sie zu den Besucher:innen dazu.
Du beschreibst die Situation selbst als „One-to-one“-Begegnung mit Kunstwerken in dem intimen Raum eines Passat. Es ist tatsächlich ein kleiner, recht intimer Raum. Ich persönlich muss mich immer überwinden, in fremde Autos einzusteigen. Wie interagierst Du mit Deinen Besucher:innen? Bleibst Du auch mal zu einem Schwätzchen im Auto sitzen oder unterhältst Dich mit ihnen vor dem Auto? Wie wichtig ist Dir dieser Punkt? Welche Konstellationen, Begegnungen, Gespräche ergeben sich, wie sind die Reaktionen?

Ich habe Personen direkt angesprochen und dazu eingeladen, sich ins Auto zu setzen. Kinder wollten vor allem ans Lenkrad. Einige Erwachsene haben sich auch ins Auto gesetzt und waren teilweise echt lange drin. Wegen Corona und auch der Zugänglichkeit waren die Türen alle immer geöffnet. Hauptsächlich wurde ich zum Passat an sich befragt, zum Baujahr oder Motor etwa. Autos von damals waren wiederkehrendes Thema. Die jeweils wenigen Besucher:innen im intimen Autoraum nehmen meiner Meinung nach die Kunst mehr wahr als in einem vollen Galerieraum. Es gab aber auch skeptische Reaktionen. „Wird das von unseren Steuergeldern bezahlt? Seid ihr von den Grünen? Ich versteh’s nicht. Mich interessiert das nicht.“ Meine These ist: Die meisten wissen nicht, dass sie sich sehr wohl dafür interessieren. Über Umwege entsponnen sich dann doch oft noch interessante Gespräche zu Mobilität, Umwelt, E-Autos und Ausbau vom ÖPNV. Da waren die künstlerischen Arbeiten ein gutes Einstiegsmedium. Die Vermittlung war hier wichtig und anstrengend. Die Gespräche entpuppten sich letztendlich als zentral für die ganze Arbeit. Traurig war ich über aggressive Reaktionen, ich finde das schade.
Die künstlerischen Arbeiten befassen sich mit Wahrnehmungen von Beschleunigung, Stillstand und Veränderung. Wie wichtig ist das Thema der Mobilität bei der Arbeit?

Wir hatten das von vornherein für ein nicht-kunstaffines Publikum konzipiert und Arbeiten ausgesucht, die eventuell leichter zugänglich sind. LandEscape #1 von Yoav Admoni zeigt z.B. eine Landschaft im Käfig und thematisiert das Paradox unserer Sehnsucht nach unberührter Natur und die Zerstörung durch unser eigenes Handeln.Wir machen die Landschaft, die wir unbedingt sehen und erleben wollen, durch unser Hinfahren dorthin oder Einhegen kaputt. Die Fotoserie Unfallwagen von Amac Garbe war auch ein guter Gesprächsstart etwa über Schrottautos, die in anderen Ländern weiter herumfahren. Auch die fragliche Faszination für Horrorautounfälle ist jedem bekannt. Bei dem auf dem Rücksitz liegenden Poller oder 1:0 von Marcus Große vermuteten einige sicherlich, dass sich da jemand (illegal) einen Durchgang verschafft hat.


Poller oder 1:0, Marcus Große, 2021

Generell war Unterwegssein ja die letzten Monate sehr schwierig und nur eingeschränkt möglich. Das Zusammensitzen mit Besucher:innen im Auto löste bei mir eine starke Sehnsucht nach Ausflügen an die Ostsee mit Freund:innen aus. Die Möglichkeit für Künstler:innen, während der Pandemie wenigstens in einem Auto ausgestellt zu werden, wurde dankbar angenommen. Diese Situation der Kunst- und Kulturschaffenden traf auch auf Verständnis bei einem Publikum aus anderen beruflichen Bereichen. Die Misere konnte also über den eigenen Tellerrand hinaus sichtbar gemacht werden.


PASSAT unterwegs, 2021

Eine Gesprächsreihe von Ex_Praline und Verlag Trottoir Noir, 2021
Yvonne Anders, Gespräch und Redaktion; Marcel Raabe, Redaktion

Fotos: Anja Schneider & Christian Göthner