Yvonne Anders
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PRALINE #mag

5 Transportabel. Im Gespräch mit Christof Zwiener

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Abb.: ADN Pförtnerhaus, “SOME POWER, THAT HARDLY LOOKED LIKE POWER, SAID I'M ONLY PERFECT IN AN EMPTY ROOM”, Friedrich Kunath, Los Angeles, 2014


Wir kennen uns durch das Projekt „Black Box“. Du hattest Dich mit der unbekannten Baugeschichte des Kunstraums „Praline“ beschäftigt – einer kleinen holzvertäfelten Hütte an der Lützner Straße in Leipzig. Du hast ein Stück aus der Decke ausgesägt und buchstäblich Zeitschichten freigelegt. Die Besucher:innen erhielten einen zeitlich begrenzten ausschnitthaften Einblick in den Dachstuhl. Diese Arbeitsweise der Sichtbarmachung von Transformationen findet sich bei vielen Deiner künstlerischen Arbeiten, aber auch das Mapping und Dokumentieren von Orten, Objekten oder Gebäuden, z. B. in der Arbeit „nach 1990 – Fokus Fahnenmast“. Ist das ein Versuch, Objekte und deren Narrative festzuhalten und vor dem Verschwinden zu bewahren?


Für mich besitzen viele, auch eher unscheinbare Dinge im öffentlichen Raum die Aura einer Nutzungsgeschichte. Das möchte ich sichtbarer, wahrnehmbarer machen. Ehemalige DDR- Fahnenmasten zum Beispiel werden im Alltag praktisch übersehen. Ich habe über vier Jahre lang Fahnenmasten in Ostberlin recherchiert, fotografisch dokumentiert und eine Online-Map mit 315 Standpunkten erstellt. Seit der Wiedervereinigung wurden sie ungenutzt vergessen und somit scheinbar unsichtbar. Sie sind mittlerweile zugewachsen oder durch neue Architektur verdeckt. Das sind für mich wichtige Ankerpunkte in der Gegenwart, die in die Vergangenheit und auf eine Nutzungsgeschichte verweisen. Für viele Menschen in der damaligen DDR waren Flaggen und Fahnen alltäglich. Ich komme aus Osnabrück, in meinem Umfeld galt das Hissen der Deutschlandfahne immer als etwas, was nur Neonazis oder stramme Patrioten machen.


Abb.: Aus: „nach 1990 – Fokus Fahnenmast“, Buch Seite 339, „twenty-five years of solitude“, Weißensee. Amalienstraße/ Parkstraße (#75)

Du planst eine Rückführung von zehn dieser Fahnenmasten nach Schweden, d. h. sie sollen in einen anderen geografischen und damit einen alternativen Bedeutungskontext gestellt werden. Dabei hast du jedoch keine medienwirksame Übergabe vor Augen, eher einen abgelegenen Ort im Wald. Welchen Stellenwert sollen die Masten dort erhalten?


Ich konnte glücklicherweise zehn Fahnenmasten retten, die auf dem ehemaligen Centrum Warenhaus am Berliner Ostbahnhof standen. Das Gebäude inklusive der Masten wurde von 1976 bis 1979 von der schwedischen Firma SIAB entworfen, geplant und gebaut. Die Fahnenmasten wurden in Schweden entworfen, produziert und nach Berlin gebracht. Beim Komplettumbau 2018 bis 2020 konnte ich die zehn jeweils neun Meter langen Stahlmasten nach Absprachen mit dem Bauherren und Besitzer retten und dort abtransportieren. Ich möchte sie nun in einen anderen Kontext bringen und denke da an eine letzte Verortung durch eine Rückführung nach Schweden. Mir schwebt eine Waldlichtung in Småland vor, die nur über einen Fußweg erreichbar ist. Am besten wäre es, wenn man nicht direkt dorthin gelangt und die Masten nur von Weitem wahrnehmen kann. Ein idealer Ort wäre an einen 200 Kilometer langen Wanderweg angedockt, und es gäbe dort einen Hinweis zur Nutzungsgeschichte der Fahnenmasten. Ich möchte Historie und Transformationsprozesse sichtbar machen. Einerseits würden die Masten so bewahrt, andererseits aber auch ihre vormalige Präsenz genommen. Die Stätte wäre so etwas wie ein Ehrenhain, aber auf gar keinen Fall ein Kultort. Die Masten erinnern auch an die wirtschaftliche Zusammenarbeit der DDR mit dem blockfreien Schweden.



Abb.: Christof Zwiener, „location concept study“, Småland 2020

Der Ansatz erinnert mich an eine ältere Arbeit von Dir, bei der Du ein komplettes Pförtnerhaus in Berlin abmontiert und im „Wende-Museum“ in Los Angeles aufgebaut hast. Was macht der Ortswechsel aus dem Objekt?

Dieses Pförtnerhaus war ein Objekt im öffentlichen Raum, welches es oft in Ost-Berlin gab, es ist visuell also nicht unbekannt. Es handelt sich um ein zwei Quadratmeter großes, aus Stahl, Alublech und Glas bestehendes transportables Häuschen, welches seit den 1970ern ca. 500 bis 1000 Mal produziert wurde. Dieses Kontrollhaus war für einen Mitarbeiter der Volkspolizei bzw. Grenztruppen konzipiert und wurde vor Botschaften und anderen wichtigen Gebäuden oder Ministerien aufgestellt. Ich entdeckte eins auf dem Gelände der ehemaligen Zentrale des ADN, Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst der DDR, in Berlin Mitte. Es funktionierte wie eine Art Zeitkapsel, dort war alles noch drin. Der Bauherr, ein privater Investor, schenkte es mir 2013 unter der Bedingung, es sofort abzutransportieren. Ich brachte es mit einem Abschleppwagen an einen anderen Ort und kuratierte insgesamt zwölf Ausstellungen mit wechselnden Künstler:innen. Anfang 2014 meldete das Wende-Museum in Los Angeles Interesse an dem Gebäude an. Sie sammeln Objekte aus der ehemaligen DDR und den „Ostblockstaaten“. Ich wollte, dass dieses Gebäude nach der Ausstellungsreihe erhalten bleibt, aber eine weitere Transformation erfährt, und übergab es dem Wende-Museum. Allerdings führte ich in Los Angeles meine konzipierte Ausstellungsreihe mit vier Ausstellungen zu Ende. Seit 2016 steht es als Ausstellungsobjekt im Museumsgarten neben einem Trabant und Palmen.


Abb.: ADN Pförtnerhaus, „LIFTING“, Franka Hörnschemeyer, Berlin 2014

Du bezeichnest Deine Projekte als ephemer und zeitbasiert. Oft sind es Aktionen im öffentlichen Raum, die nur für kurze Zeit sichtbar sind, auf die Vergangenheit verweisen und Fragen über eine Zukunft stellen, um kurz darauf wieder zu verschwinden. Bei „Schneeball“ wirfst du Schneebälle an repräsentative Architekturen in Berlin, unter anderen die Berliner Mauer, den heute nicht mehr existierenden Palast der Republik, diverse Statuen und riesige Werbeflächen. Im Kontrast zu den ausgewählten bombastischen Gesten im Stadtraum ist diese künstlerische Aktion eher kurzlebig und recht unscheinbar. Wer sieht, erlebt, erfährt in welcher Form diese Arbeiten? Wie ist Dein Verhältnis zu einem Publikum, zu Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit?


Diese Aktion habe ich in den Wintern zwischen 2004 und 2012 überwiegend in Berlin durchgeführt. Ich bezeichne mich bei dieser Arbeit nicht als Performer, sondern auch weiterhin als ein Bildhauer. Das war eine Mischung aus Humor und Provokation. An Reaktionen war von Lachen bis Beschimpfungen eigentlich alles dabei. Als ich einen Schneeball an das Reichstagsgebäude warf, kam ein Sicherheitsmann auf mich zu und fragte, ob ich das hohe Haus nicht würdigen würde. Ich hatte den Schneeballwurf jedoch nicht als abschätzige Handlung geplant, sondern erst einmal nur als Markierung eines Ortes. Eine Markierung, die augenscheinlich schnell wieder verschwindet. Der Palast der Republik, die Neue Nationalgalerie, Denkmäler von Hegel, Goethe und Schiller, die Werbefläche – das sind alles massive identitätsbildende Bereiche im öffentlichen Raum. Aber auch Ikonen der Zeit. Deswegen nahm ich schließlich auch Brandschutzwände dazu. Die wurden und werden ja nach und nach zugebaut, verschwinden somit. Insofern kann es auch als Kapitulation empfunden werden. Die einzelnen Wurfaktionen waren immer nur ein kurzer Moment, den jeweils nicht viele Personen wahrnahmen. Die Gesamtaktion über den längeren Zeitraum an verschiedenen Orten ist jedoch als Videozusammenschnitt dokumentiert. Wenn man sich dieses aktuell anschaut, ändert sich die Lesart dieser Geste rückblickend, so wie sich die Orte und ihre Bedeutungszusammenhänge ändern.


Abb.: Christof Zwiener, Videostill „Intervention mit Schneeball“ Video (4:3), loop, 2004–2012
Alle Fotos: © Christof Zwiener 2004–2020

Eine Gesprächsreihe von Ex_Praline und Verlag Trottoir Noir, 2021
Yvonne Anders, Gespräch und Redaktion; Marcel Raabe, Redaktion